Saturday, December 23, 2006

Kino - Marie Antoinette

Marie Antoinette

(gesehen am 23.12.06 Im Arthouse Le Paris - Zürich)



Soeben komm ich zurück aus dem wirklich erstaunlichen Film "Marie Antoinette" von Sofia Coppola. Man kann zur historischen Korrektheit sagen was man will, aber man kann nicht sagen, dieser Film sei nicht historisch korrekt. Er ist quasi anders historisch falsch als das, was man gemeinhin als "historisch korrekt" bezeichnet. Zum Beispiel im für uns Europäer wirklich bedauernswerten Umstand, dass er nicht in Französisch gesprochen ist. Er ist eine besondere Sichtweise auf eine Epoche, die wir normalerweise mit Untergang der Königshäuser und Aufstieg der Menschenrechte in Verbindung setzen. Was dabei in der herkömmlichen historischen Sichtweise oft vernachlässigt wird, ist der Umstand, wie "natürlich" diese Königshäuser damals waren, als die französische Revolution, die ja gemeinhin "das Gute" schlechthin darstellt, über Europa hinweggefegt ist.
Der Film bietet inhaltlich vor allem die Ansicht einer Frau, die als fleischliche Dichtmasse zwischen Österreich und Frankreich herhalten muss. Diese Rolle wird genial herausgearbeitet indem man vor allem das sieht, was man in herkömmlichen Kostümfilmen nicht sieht. Das komplizierte Übergeben eines unermesslich bedeutungsvollen weiblichen Körpers - 14-jährige Herzogin aus Österreich - zwischen zwei Königreichen und das Einarbeiten dessen in eine neue kulturelle Umgebung - Versailles - vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten.



Sofia Coppola (Regie) und Kirsten Dunst (Marie Antoinette) operieren an der Differenz zwischen adlig-formellem Verhalten und dem was man heute als "Mensch sein" bezeichnen würde. Dabei fällt der Film nicht in das Klischee der ewig verschwenderischen Adligen, sondern liefert im Gegenteil völlig nachvollziehbare Gründe für Marie Antoinettes Verhalten. In den Bettszenen mit dem französischen Thronfolger werden die beiden schlicht als zu jung und überfordert dargestellt. Es ist zwar der Mann der irgendwie nicht kann/will, aber es ist auch die Frau, die darauf nichts zu machen weiss. Die Verschwend- und Spielsucht Marie Antoinettes wird mit der Teenie-Zeit von Heute parallel geschaltet, wo man sich die Birne volllaufen lässt und betrunken durch den Wald rennt oder sich dem anderen Geschlecht in kicherndem Unwissen nähert. Hier wird eine vergangene Epoche näher über den Körper und dessen normalem Verhalten erklärt als dies bisher geschehen ist. Das ist nicht nur erfrischend, sondern auch plausibel.
Im Verlauf der Geschichte lernt man so einiges über "die Geschichte", was man sich so nicht gedacht hätte, zum Beispiel dass die Geburt eines Thronfolgers ein Schauspiel mit Freikarten für die Hofadligen war.
Alles in allem werden die meisten Leute dies für einen "Frauenfilm" halten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass im Film viele Kleider angezogen werden, Schuhe anprobiert, Konfekt gegessen, getratscht wird, etc. Ausserdem ist da natürlich eine weibliche Regisseurin, die eine weibliche historische Figur in ihrem Film vorstellt. Wer den Fokus auf diese Umstände legt und meint, ihn hiermit eingeordnet zu haben, verpasst leider den grössten Teil des Films. Natürlich ist der Film von einer Frau gemacht, und natürlich sieht man den Unterschied zu einem Historienfilm eines Mannes, aber das wirklich Starke an Sofia Coppolas neuem Film ist, dass sie gerade auf diesem Umstand nicht herumreitet, sondern ihn als gegeben Fakt unproblematisiert miteinbezieht. Das ist zwar nicht historisch korrekt, was auch immer das ist, aber eben anders historisch.


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